ukb NewsRoom Platzhalterbild
VERFASST VONukbnewsroom

Tag der Organspende 2022

Jemand ist gestorben und ich darf weiterleben

Bonn, 2. Juni 2022 – Die Vorweihnachtszeit nutzen die meisten Menschen, um ihren Liebsten Geschenke zu besorgen. Bianca R. wünschte sich auch ein Geschenk – nämlich eine neue Leber. Denn ihre eigene hat plötzlich versagt.

Es war die Nacht Ende November 2019, die das Leben von Bianca R. in „davor“ und „danach“ spaltete. Die 34-Jährige wachte plötzlich auf und musste sich übergeben. „Eine Magenverstimmung“, dachte sie nur. Das Unwohlsein begleitete die junge Bankkauffrau noch die ganze folgende Woche. Nach der Geburtstagsfeier einer Freundin wurde es wieder schlimmer. Bereits beim Schminken hat sie gemerkt, dass ihre Augen gelblich waren. Der Hausarzt hat es ebenfalls bestätigt, weil auch die Haut sich gelblich verfärbt hat. Die schlechten Blutwerte erhärteten den Verdacht. Die gebürtige Niederkasslerin wurde schließlich am selben Tag in eine Klinik eingeliefert. Kurz danach wechselte sie ins Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Als mich der Transplanteur besucht hat, war ich schon verwundert“, gibt Bianca R. zu. Erst später begriff ich, dass ich in akuter Lebensgefahr war. „Es wäre fünf vor zwölf – beschrieben die Ärzte meine Lage“, erinnert sich die sportliche Frau, die vor der OP 100 Kilogramm gewogen hat, weil es sich in ihrem Körper so viel Wasser angesammelt hat.

Laut Eurotransplant waren am 1. Januar 2022 insgesamt 8.458 Patienten aus Deutschland auf der Warteliste. Über die Stiftung, die für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern verantwortlich ist, bekam auch Bianca R. kurz vor Heiligabend 2019 eine neue Leber. „Es war so surreal: Ich habe mich über die total schlechten Leberwerte gefreut, damit ich auf Platz 1 auf der Warteliste kommen kann“, sagt die ehemalige UKB-Patientin. Und sie hatte Glück. Ihre behandelnden Ärzte Prof. Jörg C. Kalff, Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie und Prof. Steffen Manekeller, Leiter des Teams Transplantation, wurden von den Kolleg*innen der Medizinischen Klinik und Poliklinik I – Allgemeine Innere Medizin frühzeitig hinzugezogen, da nach der am 13. Dezember erfolgten transjugulären Leberbiospie eine Erholung der Leber so gut wie ausgeschlossen war.

„Es lag ein akutes Leberversagen vor, was der größte hepatologische Notfall ist, da es anders als bei anderen Organen keinen maschinellen Ersatz der Leber gibt, sodass eine rasche Organtransplantation notwendig wird,“ erläutert Prof. Christian P. Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am UKB. Bei weiterer Verschlechterung der Organleistung konnte dann am 21. Dezember die HU-Meldung, also als hoch dringlich eingestuft, bei Eurotransplant erfolgen. Bianca R. wurde auf einer vorderen Position bei Eurotransplant gelistet.

Nach der Lebertransplantation folgte eine Lungen-OP, um die ständigen Wasseransammlungen in der Lunge zu stoppen. Heute geht es Bianca R. sehr gut. Sie kann weiterhin Sport treiben und fast alles essen. „Ans Sterben habe ich nie gedacht. Ich musste ja für meinen Vater da sein, der mich immens unterstützt hat“, erklärt die junge Frau, deren Mutter zwei Jahre vor der Transplantation gestorben ist. Die enge Bindung zum Vater hat Bianca R. noch mehr motiviert, wieder gesund zu werden.

Ab und an denkt Bianca R. an die Spenderfamilie, der sie gern persönlich danken würde. Und sie mahnt: „Keiner ist sicher. Das Alter spielt keine Rolle. Jeder könnte in eine solche Situation geraten, wenn ein neues Organ dringend gebraucht wird.“ Bei Bianca R. war die Kombination aus einem Antibiotikum und dem pflanzlichen Mittel Iberogast der fatale Auslöser eines toxischen Leberversagens.

Keine Organtransplantation ohne vorherige Organspende

Die Bereitschaft, ein Organ nach dem eigenen Ableben zu spenden, hält sich in Deutschland nach wie vor in Grenzen. 2021 zählte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 11,2 Spender pro eine Million Einwohner. Zum Vergleich: In Spanien kommen 40,2 Organspender auf eine Million Einwohner. Das ist mehr als doppelt so hoch wie in der gesamten Europäischen Union. Die Organtransplantation ist in der spanischen Gesellschaft offenbar allgemein akzeptiert. Laut der Nationalen Organisation für Transplantationen (ONT) sind 86 Prozent der angefragten Familien von Verstorbenen mit einer Organentnahme einverstanden. In Deutschland herrscht aber immer noch Skepsis.

Daher ist dem UKB-Transplantationsbeauftragten Prof. Martin Söhle die Aufklärung über die Organspende so wichtig: „Organe dürfen nur bei Patienten entnommen werden, deren Hirnfunktion durch eine schwere Verletzung, Blutung oder Erkrankung vollständig erloschen ist“. Weiterhin muss eine Einwilligung zur Organspende vorliegen. Hat ein Patient sich jedoch zu Lebzeiten nicht klar geäußert, so müssen die Angehörigen entscheiden. „Gerade in dieser belastenden Situation des Abschiednehmens fällt diese Entscheidung den Angehörigen verständlicherweise sehr, sehr schwer“, erklärt die Transplantationsbeauftragte Juliane Langer. „Daher ist es zu Lebzeiten so wichtig, sich selbst für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, dies zu dokumentieren und mit seinen Angehörigen darüber zu sprechen“.

Pandemie bremst Organspende

Obwohl der Bedarf an Spenderorganen größer als das Angebot ist, sanken im ersten Quartal 2022 die Organspendezahlen um beachtliche 30 Prozent! „Dass die Zahlen derart massiv eingebrochen sind, ist leider nun doch zum Großteil pandemiebedingt. So gab es zuletzt in der Omikron-Welle erhebliche infektions- oder quarantänebedingte Personalausfälle in den Kliniken, sodass anzunehmen ist, dass dadurch weniger Organspenden realisiert werden konnten“, erklärt Dr. Scott Oliver Grebe, Geschäftsführender Arzt der DSO in der Region Nordrhein-Westfalen.

Als ein weiterer Grund: die Häufung von möglichen Spendern, die aufgrund eines positiven SARS-CoV-2-Befundes von einer Organspende ausgeschlossen wurden. Und dennoch unternehmen die Kliniken und der Gesetzgeber enorme Anstrengungen, um Menschen wie Bianca R. rechtzeitig helfen zu können. So hat die Bundesärztekammer in Abstimmung mit den Fachgesellschaften Ende April eine Empfehlung beschlossen, wonach auch bei positivem SARS-CoV-2-Befund in ausgewählten Fällen – unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für den Empfänger – eine Organspende möglich ist. Am UKB ist dazu in enger Zusammenarbeit zwischen der Medizinischen Klinik und Poliklinik I – Allgemeine Innere Medizin und der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie eine definierte Vorgehensweise bei SARS-CoV-2 positiven Empfängern festgelegt worden.

Zeichen setzen, sich entscheiden

Am 1. März 2022 ist das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft in Kraft getreten. Dr. Grebe erläutert: „Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen zu beurteilen. Die Neuregelung setzt auf die verstärkte Information der Bevölkerung. Ein besonders wichtiges Element ist dabei die Einbindung der Hausärzteschaft, die nun bei Bedarf ihre Patienten alle zwei Jahre ergebnisoffen über die Organ- und Gewebespende individuell beraten. Die vorgesehene Einführung eines Organspende-Onlineregisters ist derzeit noch aufgeschoben.“

Eine weitere wichtige öffentliche Maßnahme ist der jährliche Tag der Organspende. In diesem Jahr am 4. Juni findet unter anderem auf dem Bonner Marktplatz eine große Veranstaltung des Netzwerkes Organspende NRW statt. Von 11 bis 15 Uhr gibt es Infos, Talkrunden und Live-Musik. Transplantationsbeauftragte, transplantierte Menschen und Unterstützer/-innen des Netzwerkes Organspende NRW e. V. erzählen ihre Geschichten und setzen vor allem ein Zeichen – Organspende ist wichtig und kann Leben retten. Und es wird gedankt: den anonymisierten Organspenderinnen und Organspendern, deren Angehörigen, der DSO, den Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. „Für mich ist das Team um Prof. Kalff zu meiner zweiten Familie geworden“, sagt Bianca R., die rund sieben Wochen im UKB verbracht hat. „Ich liebe sie alle!“

Mehr unter www.netzwerk-organspende-nrw.de und www.tagderorganspende.de

Pressekontakt:
Daria Siverina
Stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Tel.: +49 0228 287-14416
E-Mail: daria.siverina@ukbonn.de


Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr über 400.000 Patient*innen betreut, es sind 8.300 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,3 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr rund 600 junge Menschen in anderen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den vierthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte 2020 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs und die einzige positive Jahresbilanz aller Universitätsklinika in NRW.

Skip to content