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Wie Geburtshilfe neu gedacht werden kann

BMBF fördert Forschungsprojekt „MAM-Care“ für weitere zwei Jahre, um das Geburtserleben von Müttern zu verbessern.

Bonn, 30. April – Wie erlebt eine Mutter die Geburt ihres Kindes – eingebettet im heutigen Klinikalltag? Wie sehen auf der anderen Seite die Geburtshelfenden ihre Arbeit während der Geburt? Solchen Fragen ergründet das BMBF-geförderte Forschungsprojekt „MAM-Care“ der Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Bonn (UKB) in Kooperation mit der Universität Bonn und der Uniklinik Köln bereits seit Mai 2022. Jetzt fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die zweite Projektphase mit circa 730.000 Euro für weitere zwei Jahre. Ziel ist es, für eine Geburtshilfe, die medizinische Qualität mit Menschlichkeit verbindet, eine konkrete Intervention zu testen und zu evaluieren.

Im Rahmen von MAM-Care nimmt die Bonner Nachwuchsgruppe in der Versorgungsforschung die Qualität der geburtshilflichen Versorgung in Deutschland aus der Sicht der Gebärenden und der Versorgenden unter die Lupe. Unter der Leitung von Prof. Dr. Nadine Scholten verfolgt es eine multiperspektivische Herangehensweise: Die Ergebnisse aus medizinischen Versorgungsdaten – etwa Kaiserschnittraten oder geburtshilfliche Interventionen – werden mit Befragungsdaten und qualitativen Interviews kombiniert analysiert. Mütter erzählen, wie sie Geburt und Betreuung empfunden haben, während ärztliche Geburtshelfer ihre Herausforderungen im Klinikalltag schildern. Insgesamt 1.102 Mütter, 875 ärztliche Fachpersonen und 1.373 Hebammen haben an der Befragung teilgenommen.

„In den ersten drei Projektjahren konnten wir bereits viel Wissen generieren und dabei aufzeigen, was in der Geburtshilfe in Deutschland bereits gut läuft, wo aber auch noch Möglichkeiten zur Optimierung wären“, sagt Prof. Scholten, die neuerdings die Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung des UKB leitet und die Professur für psychosomatische und psychoonkologische Versorgungsforschung an der Universität Bonn innehat.

Brennpunkte: Dammschnitt und Fundusdruck

Einen möglichen Optimierungsansatz sehen die Bonner Forschenden beispielsweise hier: Trotz fehlender Evidenz wird unter einer vaginalen Geburt relativ häufig Druck von außen auf den Bauch ausgeübt, obwohl dieser sogenannte Fundusdruck laut Leitlinie möglichst nicht angewandt werden soll. Von Frauen wird diese Praxis immer wieder als traumatisch beschrieben. „Auffallend ist, dass Assistenzärzt*innen den Fundusdruck signifikant häufiger als Fachärzt*innen verwenden. Zu seiner Minimierung müsste man an der Ausbildung oder an den Strukturen ansetzen. Denn laut den Interviews ist der Fundusdruck, anders als der Einsatz von Saugglocke oder Geburtszange eine Intervention, die selbstständig von Assistenzärzt*innen ausgeführt wird“, sagt Prof. Scholten.

Auch den Nutzen eines Dammschnitts wird immer mehr infrage gestellt, da die ursprüngliche Intention hochgradige Dammrisse zu verhindern, nicht evidenzbasiert belegt werden kann. Im Durchschnitt schneiden ärztliche Personen bei fast jeder siebten von ihnen betreuten vaginalen Geburt. Etwas mehr als jede zweite Mutter bei der ein Dammschnitt durchgeführt wurde gab an, keine ausreichende Aufklärung erhalten zu haben und jede Vierte war mit dem Dammschnitt nicht einverstanden.

Selbstbestimmung im Kreißsaal nicht immer gegeben

Zudem konnten die Bonner Forschenden im Rahmen von MAM-Care zeigen, dass die Zufriedenheit der Gebärenden unter anderem mit der selbstbestimmten Wahl der finalen Geburtsposition zusammenhängt. Gleichzeitig gaben fast 40 Prozent der Befragten, die ihr Kind in Rückenlage geboren haben an, dass sie diese Position nicht freiwillig gewählt haben. „Hier möchten wir jetzt in der zweiten Projektphase ansetzen, indem wir durch kleine Nudges versuchen die Frauen zu befähigen selbstbestimmter zu agieren“, sagt Prof. Scholten. Das Konzept der Nudges meint das Setzen von subtilen Anreizen oder Veränderungen in der Umgebung, die das Verhalten von Patienten oder medizinischem Personal beeinflussen, ohne dabei die Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Prof. Scholten betont: „Somit geht es uns nicht um große Veränderungen in der Versorgung, sondern um kleine Maßnahmen, die niederschwellig implementiert und eingesetzt werden können.“

Förderung: Das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt MAM-Care wurde in der ersten Projektphase von der TK und der AOK Rheinland Hamburg unterstützt, welche an der Durchführung der Mütterbefragung maßgeblich mit beteiligt waren. Darüber hinaus wird das Projekt von einer großen Expertenschaft aus den unterschiedlichsten Professionen unterstützt.

Bildmaterial:

Bildunterschrift: Die BMBF-geförderte Nachwuchsgruppe in der Versorgungsforschung am UKB:
(v. li) Lissa Haid-Schmallenberg, Arno Stöcker, Prof. Nadine Scholten, Niklas Sand, Anna Volkert und Mi-Ran Okumu (nicht im Bild)
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / Alessandro Winkler

Pressekontakt:
Dr. Inka Väth
stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

 Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.

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