EUNETHYDIS Annual Meeting 2025: ADHS erwachsen denken: Herausforderungen und Chancen auf dem Weg in ein selbstständiges Leben
Interview mit Prof. Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKB und Komm. Ärztliche Direktorin des UKB
Bonn, 19. September – ADHS ist keine reine Kinderkrankheit. Rund die Hälfte der Betroffenen zeigt auch im Erwachsenenalter Symptome – mit weitreichenden Auswirkungen auf Beruf, Partnerschaft und Gesundheit. Umso wichtiger ist es, über Chancen und Herausforderungen der Erkrankung zu sprechen. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn (UKB) lädt deshalb am 22. September 2025 zu einer öffentlichen Veranstaltung im Rahmen des EUNETHYDIS Annual Meeting ein. Unter dem Titel „ADHS erwachsen denken: Herausforderungen und Chancen auf dem Weg in ein selbstständiges Leben“ erwartet Interessierte ein abwechslungsreiches Programm mit Vorträgen und Diskussionen.
Ziel der Veranstaltung ist es, Betroffenen, Angehörigen, Fachkräften und Interessierten Einblicke in die aktuelle Forschung und Versorgung zu geben, Austausch zu ermöglichen und neue Perspektiven für den Alltag und die Praxis zu eröffnen.
Im Vorfeld haben wir mit Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKB und Komm. Ärztliche Direktorin des UKB, über das Thema gesprochen:
Interview mit Prof. Dr. Alexandra Philipsen
Viele verbinden ADHS vor allem mit Kindern. Warum ist das Erwachsenenalter so wichtig?
ADHS ist keine reine Kinderkrankheit. Wir wissen heute, dass bei einem erheblichen Teil der Betroffenen die Symptome bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Dabei verändert sich das klinische Bild: während im Kindesalter eher motorische Unruhe und Impulsivität im Vordergrund stehen, sind es im Erwachsenenalter häufig innere Unruhe, Desorganisation und Schwierigkeiten in sozialen und beruflichen Kontexten. Das Erwachsenenalter ist entscheidend, weil die unbehandelte Symptomatik dort erhebliche Auswirkungen auf Ausbildung, Beruf, Beziehungen und Gesundheit haben kann.
Warum rückt ADHS im Erwachsenenalter gerade jetzt so stark in den Fokus von Forschung und Öffentlichkeit?
Zum einen haben sich die diagnostischen Kriterien weiterentwickelt, sodass wir heute besser erkennen, wie sich ADHS bei Erwachsenen manifestiert. Zum anderen steigt das öffentliche Bewusstsein, dass psychische Störungen nicht „einfach verwachsen“. Auch Betroffene selbst artikulieren ihre Erfahrungen verstärkt in Medien und sozialen Netzwerken. Schließlich haben neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu neurobiologischen Grundlagen und Therapieoptionen das Forschungsinteresse weiter intensiviert.
Was sind die größten Missverständnisse, wenn es um ADHS bei Erwachsenen geht?
Ein verbreitetes Missverständnis ist, dass Erwachsene mit ADHS einfach „faul“ oder „unorganisiert“ seien – und dass sie sich nur besser zusammenreißen müssten. Ebenso ist die Vorstellung falsch, ADHS sei ausschließlich eine Hyperaktivitätsstörung. Viele Betroffene leiden eher unter Aufmerksamkeitsproblemen, innerer Unruhe, emotionaler Dysregulation oder Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation. Ein weiteres Missverständnis ist, dass ADHS bei Frauen sehr viel seltener vorkommt – tatsächlich wird es dort aber oft später erkannt, weil die Symptomatik weniger auffällig ist.
Welche Herausforderungen erleben Erwachsene mit ADHS am häufigsten?
Sehr häufig sind Probleme im Arbeitsleben: Schwierigkeiten, Aufgaben zu strukturieren, Deadlines einzuhalten oder Prioritäten zu setzen. Auch Partnerschaften können durch Impulsivität oder emotionale Schwankungen belastet sein. Zudem ist das Risiko für komorbide Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Substanzmissbrauch erhöht. Diese Kombination macht die Versorgung oft komplexer.
Gibt es auch Chancen oder sogar besondere Stärken?
Viele Erwachsene mit ADHS beschreiben eine große Kreativität, Spontaneität, Begeisterungsfähigkeit und die Fähigkeit, in Krisensituationen schnell und flexibel zu reagieren. Wenn Betroffene ein Umfeld finden, das ihre Stärken unterstützt und Strukturen bereitstellt, können sie diese Potenziale einbringen. Wichtig ist, dass die Diagnose nicht nur mit Defiziten verknüpft wird, sondern wir auch die Ressourcen sehen und berücksichtigen.
Wie gut ist Deutschland bei Diagnose und Behandlung aufgestellt?
Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Es gibt spezialisierte Ambulanzen und Leitlinien zur Diagnostik und Therapie. Gleichzeitig bestehen noch Versorgungslücken: Viele Betroffene warten lange auf eine qualifizierte Abklärung, und nicht überall ist der Zugang zu multimodaler Therapie – also Psychoedukation, Psychotherapie und medikamentöser Behandlung – ausreichend gesichert. Hier ist weitere Vernetzung und Ausbau dringend erforderlich.
Welche Impulse kann die Veranstaltung in Bonn setzen?
Wir möchten Aufmerksamkeit schaffen für die Lebensrealität erwachsener ADHS-Betroffener, Forschung und Versorgung miteinander ins Gespräch bringen und Stigmatisierung abbauen. Die Veranstaltung soll zeigen, wie wichtig es ist, die Erkrankung ernst zu nehmen, aber auch Chancen und Perspektiven aufzuzeigen. Zudem wollen wir Fachleute, Betroffene und Angehörige vernetzen, um gemeinsam neue Wege für Diagnostik, Therapie und gesellschaftliche Teilhabe zu entwickeln.
Veranstaltungshinweis
„ADHS erwachsen denken: Herausforderungen und Chancen auf dem Weg in ein selbstständiges Leben“
Datum: 22. September 2025
Uhrzeit: 14.00 – 18.00 Uhr
Ort: Universitätsklinikum Bonn, BMZ I (B13), Venusberg-Campus
Im Rahmen des EUNETHYDIS Annual Meeting 2025
Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist erwünscht über https://www.ukbonn.de/psychiatrie-und-psychotherapie/aktuelles/eunethydis-local-footprint/
Bildmaterial:
Bildunterschrift: Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Komm. Ärztliche Direktorin des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen und Chancen von ADHS im Erwachsenenalter. Am 22. September 2025 lädt ihre Klinik zur Veranstaltung „ADHS erwachsen denken“ am UKB ein.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Pressekontakt:
Julia Weber
Pressereferentin und Medizinredakteurin
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Zum Universitätsklinikum Bonn: Als eines der leistungsstärksten Universitätsklinika Deutschlands verbindet das UKB Höchstleistungen in Medizin und Forschung mit exzellenter Lehre. Jährlich werden am UKB über eine halbe Million Patienten ambulant und stationär versorgt. Hier studieren rund 3.500 Menschen Medizin und Zahnmedizin, zudem werden jährlich über 600 Personen in Gesundheitsberufen ausgebildet. Mit rund 9.900 Beschäftigten ist das UKB der drittgrößte Arbeitgeber in der Region Bonn/Rhein-Sieg. In der Focus-Klinikliste belegt das UKB Platz 1 unter den Universitätsklinika in NRW und weist unter den Universitätsklinika bundesweit den zweithöchsten Case-Mix-Index (Fallschweregrad) auf. 2024 konnte das UKB knapp 100 Mio. € an Drittmitteln für Forschung, Entwicklung und Lehre einwerben. Das F.A.Z.-Institut zeichnete das UKB im vierten Jahr in Folge als „Deutschlands Ausbildungs-Champion“ und „Deutschlands begehrtesten Arbeitgeber“ aus. Aktuelle Zahlen finden Sie im Geschäftsbericht unter: geschaeftsbericht.ukbonn.de