Parkinson beginnt viel früher, als wir denken
Wie frühe Anzeichen erkannt und beeinflusst werden können
Die Parkinson-Krankheit ist vielen vor allem durch typische Symptome wie Zittern, Muskelsteifheit oder Bewegungsverlangsamung bekannt. Doch wann die Erkrankung tatsächlich beginnt, ist eine Frage, die derzeit in der Fachwelt intensiv diskutiert wird.
„Offiziell beginnt Parkinson dann, wenn motorische Symptome auftreten – so steht es auch in den diagnostischen Kriterien der Movement Disorder Society“, erklärt PD Dr. Michael Sommerauer, Experte für Parkinson und Schlafmedizin am Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Aber wir wissen inzwischen, dass diese sichtbaren Symptome im biologischen Krankheitsverlauf sehr spät kommen.“
Die Forschung zeigt: Parkinson entwickelt sich oft schon 10 bis 30 Jahre, bevor die ersten motorischen Beschwerden bemerkbar werden. In dieser frühen Phase verlaufen die Veränderungen im Nervensystem zunächst still – aber nicht spurlos. Erste Anzeichen lassen sich finden, wenn man gezielt hinschaut.
Wenn der Schlaf Hinweise gibt
Einer der wichtigsten Marker für eine beginnende Parkinson-Erkrankung ist die sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD). In dieser besonderen Schlafphase, in der wir träumen, ist normalerweise unsere Muskulatur gelähmt. Nicht so bei RBD: „Der Schutzmechanismus ist gestört – Betroffene schlagen oder treten im Schlaf. Viele berichten von sehr intensiven, oft aggressiven Träumen, in denen sie kämpfen oder fliehen müssen“, beschreibt PD Dr. Sommerauer. Diese Episoden sind nicht nur auffällig, sondern auch medizinisch hochrelevant: „Wir wissen, dass 80 bis 95 Prozent der Menschen mit isolierter REM-Schlaf-Verhaltensstörung in den folgenden 10 bis 15 Jahren Parkinson oder eine Parkinson-Demenz entwickeln.“
Früherkennung als Chance
Neben der Riechstörung, die oft Jahrzehnte vor der Diagnose auftritt, lassen sich bei genauer Analyse frühe motorische Veränderungen erkennen – subtil, aber messbar. Die Schwierigkeit: Im Alltag erscheinen sie häufig als normale Alterserscheinungen.
„Früher kamen die Menschen mit dem Vollbild der Krankheit – da war die Diagnose klar. Heute kommen sie früher. Die Symptome sind milder, und es ist deutlich schwieriger zu sagen, ob es sich wirklich um Parkinson handelt“, so PD Dr. Sommerauer. Aktuell fehlt noch eine zuverlässige Testmethode für die breite Frühdiagnostik. Doch genau daran arbeitet das Team am UKB – unter anderem mit Unterstützung durch ein Forschungsprojekt des European Research Council. „Wir entwickeln ein System, das über ein Tablet in wenigen Minuten motorische Auffälligkeiten erfassen kann – direkt in der Hausarztpraxis. Das könnte ein echter Durchbruch für die Frühdiagnose sein“, berichtet der Neurologe.
Möchte man überhaupt wissen, dass man ein Risiko trägt? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Doch Studien zeigen: Die meisten Betroffenen möchten es wissen. „In unserer REM-Schlaf-Kohorte war die Rückmeldung überraschend positiv. Die Menschen waren dankbar, weil sie dadurch aktiv etwas tun konnten – für ihre Lebensqualität, für ihre Zukunft.“
Gibt es Medikamente zur Vorbeugung?
Trotz aller Fortschritte in der Früherkennung stellt sich eine zentrale Frage: Lässt sich Parkinson im Frühstadium behandeln oder sogar verhindern? „Die eine Tablette gegen Parkinson – die gibt es noch nicht“, sagt PD Dr. Sommerauer offen. „Aber um sie entwickeln zu können, brauchen wir genau diese frühen Patienten. Wir müssen sie finden, um Therapien überhaupt testen zu können.“ Bis dahin liegt der Fokus auf einem anderen, nicht weniger wirkungsvollen Ansatz: Lebensstilinterventionen.
Prävention beginnt im Alltag
Es gibt viele Hinweise darauf, dass ein gesunder Lebensstil nicht nur das Risiko für Demenz, sondern auch für Parkinson positiv beeinflusst. PD Dr. Sommerauer erklärt: „Aus der Demenzforschung wissen wir, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Fälle vermeidbar wären – durch Bildung, Schlaf, Ernährung, soziale Kontakte, Bewegung und die gute Kontrolle von Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Das lässt sich auch auf Parkinson übertragen.“ Gerade Bewegung spielt eine zentrale Rolle. „Parkinson ist eine Erkrankung der Beweglichkeit – und wir haben sehr gute Daten, dass körperliche Aktivität den Krankheitsverlauf verlangsamen kann.“
Digitale Lösungen für Hirn und Körper
In Bonn wird deshalb intensiv an nicht-medikamentösen Interventionen gearbeitet – und das alltagsnah. „Wir testen derzeit kognitive Trainingsprogramme für Betroffene mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung – also digitale Übungen auf dem Smartphone oder Tablet. Erste Ergebnisse zeigen: Man wird messbar besser. Als Nächstes wollen wir mehr Bewegung in den Alltag bringen – ebenfalls über eine motivierende App, die zu mehr Aktivität anregt.“
Diese digitalen Programme könnten künftig eine echte Alternative oder Ergänzung zur medikamentösen Therapie sein – besonders, solange es noch keine spezifischen Medikamente für das Frühstadium gibt.
Schlafstörungen – unterschätzt und häufig
Nicht nur RBD, auch andere Schlafprobleme gehören zu den häufigsten nicht-motorischen Symptomen bei Parkinson. Dazu zählen Einschlaf- und Durchschlafstörungen, frühes Erwachen, nächtlicher Harndrang oder Bewegungslosigkeit im Bett. „Einige Patienten liegen die ganze Nacht auf dem Rücken, weil sie sich im Schlaf nicht mehr drehen können – morgens fühlen sie sich wie gerädert“, so PD Dr. Sommerauer. Kurios: Manche Betroffene, die tagsüber stark in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, können sich im Schlaf plötzlich wieder frei bewegen. „Es ist, als würde das Gehirn für einen Moment den gestörten Bewegungsregelkreis überbrücken.“
Tipps für besseren Schlaf
Gute Schlafhygiene kann hier viel bewirken:
- Ruhiges, dunkles, kühles Schlafzimmer
- Feste Einschlafrituale
- Strukturierter Tagesablauf
- Entspannungstechniken wie Meditation oder progressive Muskelentspannung
- Gedanken vor dem Schlafen notieren
Auch Angehörige spielen eine wichtige Rolle, denn sie bemerken häufig als Erste auffällige Verhaltensweisen. PD Dr. Sommerauer rät: „Sprechen Sie Ihre Beobachtungen offen an. Und sorgen Sie für ein sicheres Schlafumfeld – notfalls auch mit getrennten Betten, wenn es zu gefährlichen Bewegungen kommt.“
Hoffnung durch Forschung
Die Parkinsonforschung entwickelt sich rasant weiter. Neue technologische Ansätze, wie tragbare Geräte zur Analyse des Schlafs oder zur Stimulation bestimmter Hirnareale, sind in Entwicklung. „Wir sind optimistisch, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren deutlich besser verstehen werden, wie Parkinson entsteht – und wie wir früher eingreifen können“, sagt PD Dr. Sommerauer. Bis dahin liegt die Chance vor allem darin, die Krankheit ernst zu nehmen, bevor sie sichtbar wird – und das eigene Leben bewusst in die Hand zu nehmen.
Bildmaterial:
Bildunterschrift: PD Dr. Michael Sommerauer, Experte für Parkinson und Schlafmedizin am Universitätsklinikum Bonn (UKB), untersucht u. a. Schlafstörungen als Warnsymptom für Parkinson.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / D. Siverina
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Daria Siverina
Stellvertretende Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
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E-Mail: daria.siverina@ukbonn.de
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.