Neue Methode zur präzisen Herstellung menschlicher neuronaler Schaltkreise im Labor entwickelt
Forschende des Universitätsklinikums Bonn und der Universität Bonn rekonstruieren neuronale Netzwerke im Labor und erforschen neue Mechanismen der Signalübertragung im Gehirn
Bonn, 28. Oktober – Wie funktionieren die Schaltkreise des menschlichen Gehirns – und was passiert, wenn sie gestört sind? Um diesen Fragen nachzugehen, haben Forschende der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Münster und der Harvard Medical School eine innovative Plattform entwickelt, mit der sich die Funktion neuronaler Netzwerke gezielt untersuchen lässt. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift ACS Nano veröffentlicht.
Prof. Dr. Volker Busskamp, Biotechnologe und Forschungsgruppenleiter an der Augenklinik des UKB, Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation² und im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn, hat mit seinem Team eine neuartige Technologie entwickelt, mit der sich menschliche neuronale Netzwerke erstmals gezielt und reproduzierbar aufbauen lassen. Die Methode mit dem Namen Single-Neuron Network Assembly Platform (SNAP) ermöglicht es, Nervenzellen mit Einzelzellpräzision zu positionieren und ihre elektrischen Signale zu untersuchen. Damit eröffnet sich ein völlig neuer Zugang zur Erforschung fundamentaler Prozesse des Gehirns – und potenziell auch von Erkrankungen wie Epilepsie oder Herzrhythmusstörungen.
Gezielt aufgebaute neuronale Schaltkreise statt Zufallsnetzwerke
Bisher beruhen in-vitro-Modelle des Gehirns häufig auf zufällig entstehenden Zellverbindungen, was ihre Reproduzierbarkeit stark einschränkt. Das SNAP-Verfahren hingegen kombiniert 3D-gedruckte mikrofluidische Kanäle mit modernster Laser- und Softlithografietechnologie. Die einzelnen Zellen werden dabei mit mikroskopischer Präzision mithilfe einer Mikropipette und eines Mikromanipulators in den Kanälen positioniert. Auch das Axonwachstum der Nervenzellen lässt sich gezielt steuern, sodass klar definierte und reproduzierbare neuronale Netzwerke entstehen. So lassen sich Neuronen exakt positionieren und elektrische Aktivitäten präzise messen.
„Mit SNAP können wir neuronale Schaltkreise von Grund auf gestalten“, erklärt Busskamp. „Das erlaubt uns, Netzwerke mit gezielten Eigenschaften zu untersuchen und Prozesse zu erfassen, die bislang kaum experimentell zugänglich waren.“
Erste direkte Bestätigung der sogenannten ephaptischen Kopplung
Ein Schwerpunkt der Studie war die Untersuchung der ephaptischen Kopplung – also der Wechselwirkung zwischen Neuronen über ihre eigenen elektrischen Felder, unabhängig von synaptischen Kontakten. Solche Effekte wurden bislang vor allem theoretisch beschrieben, ließen sich aber experimentell kaum nachweisen. Mit SNAP gelang nun erstmals der direkte experimentelle Nachweis ephaptischer Kopplung in einem kontrollierten menschlichen neuronalen Schaltkreis. „Entscheidend war, die Zellen wirklich auf Einzelzellebene kontrollieren zu können“, erklärt Johannes Striebel, Doktorand und Erstautor der Studie. „Das klingt trivial, ist aber technisch extrem anspruchsvoll. Erst durch diese Präzision konnten wir zeigen, wie elektrische Felder die Signalübertragung zwischen Neuronen beeinflussen.“ Dabei zeigte sich, dass diese Form der elektrischen Kommunikation die Geschwindigkeit und das Timing neuronaler Signale beeinflusst. Ephaptische Kopplung spielt vermutlich nicht nur im Gehirn, sondern auch im Herzmuskel eine Rolle und könnte bei Erkrankungen wie Epilepsie oder Herzrhythmusstörungen beteiligt sein.
Neue Möglichkeiten für Grundlagenforschung und Krankheitsmodelle
Die Plattform erlaubt die Integration verschiedener Zelltypen und die präzise Beobachtung einzelner Neuronen, einschließlich optogenetischer Stimulation. Sie kann sowohl für grundlegende Untersuchungen der Informationsverarbeitung im Gehirn als auch zur Modellierung krankheitsspezifischer Veränderungen eingesetzt werden.
Langfristig könnte SNAP damit auch in der Wirkstoffforschung oder bei der Entwicklung von funktionellen Krankheitsmodellen Anwendung finden. Durch ihre hohe Sensitivität gegenüber synaptischen Antagonisten eignet sich die Methode besonders für die Analyse neuroaktiver Substanzen.
Förderung durch die VolkswagenStiftung
Das zugrundeliegende Projekt Functional Synthetic Human Neural Circuits von Prof. Dr. Volker Busskamp wurde ab 2014 mit rund 1,5 Millionen Euro im Rahmen eines Freigeist Fellowships der VolkswagenStiftung gefördert. Dieses Programm unterstützt außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten, die an den Schnittstellen etablierter Disziplinen arbeiten und innovative, risikoreiche Forschungsvorhaben verfolgen.
In Busskamps Projekt wurde untersucht, wie das menschliche Gehirn bei Gesundheit und Krankheit funktioniert. Dafür kombinieren die Forschenden Neurowissenschaften, Stammzellenforschung und Bioingenieurwesen, um funktionelle neuronale Schaltkreise künstlich nachzubilden. Aus adulten Stammzellen werden gezielt Neuronen erzeugt und zu reproduzierbaren Netzwerken verbunden, in die auch krankheitsverursachende Mutationen eingebracht werden können. So lassen sich neurobiologische Mechanismen und potenzielle Therapieansätze präzise erforschen – bis hin zur Vision biologischer Computer, die Informationen ähnlich effizient verarbeiten wie das menschliche Gehirn.
Originalveröffentlichung: Johannes Striebel et al.: Reproducible Human Neural Circuits Printed with Single-Cell Precision Reveal the Functional Roles of Ephaptic Coupling, in: ACS Nano, October 2025; DOI: https://doi.org/10.1021/acsnano.5c11482
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Volker Busskamp
Augenklinik des Universitätsklinikum Bonn
Exzellenzcluster ImmunoSensation² und Transdisziplinärer Forschungsbereich „Life & Health“ der Universität Bonn
Tel: +49 228 28713687
E-Mail: volker.busskamp@uni-bonn.de
Bildmaterial:

Bildunterschrift: Doktorand Johannes Striebel und Prof. Dr. Volker Busskamp vom Universitätsklinikum Bonn (UKB) entwickeln mit der Plattform SNAP (Single-Neuron Network Assembly Platform) eine neuartige Technologie, mit der sich menschliche neuronale Netzwerke erstmals gezielt und reproduzierbar aufbauen und untersuchen lassen.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Alessandro Winkler
Bildmaterial:
Bildunterschrift: Fluoreszenz- (links) und Hellfeldaufnahme (rechts) eines künstlich erzeugten neuronalen Netzwerks mit Elektrodenstrukturen zur Messung der Nervensignale.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Johannes Striebel
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Pressereferentin und Medizinredakteurin
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Zum Universitätsklinikum Bonn: Als eines der leistungsstärksten Universitätsklinika Deutschlands verbindet das UKB Höchstleistungen in Medizin und Forschung mit exzellenter Lehre. Jährlich werden am UKB über eine halbe Million Patienten ambulant und stationär versorgt. Hier studieren rund 3.500 Menschen Medizin und Zahnmedizin, zudem werden jährlich über 600 Personen in Gesundheitsberufen ausgebildet. Mit rund 9.900 Beschäftigten ist das UKB der drittgrößte Arbeitgeber in der Region Bonn/Rhein-Sieg. In der Focus-Klinikliste belegt das UKB Platz 1 unter den Universitätsklinika in NRW und weist unter den Universitätsklinika bundesweit den zweithöchsten Case-Mix-Index (Fallschweregrad) auf. 2024 konnte das UKB knapp 100 Mio. € an Drittmitteln für Forschung, Entwicklung und Lehre einwerben. Das F.A.Z.-Institut zeichnete das UKB im vierten Jahr in Folge als „Deutschlands Ausbildungs-Champion“ und „Deutschlands begehrtesten Arbeitgeber“ aus. Aktuelle Zahlen finden Sie im Geschäftsbericht unter: geschaeftsbericht.ukbonn.de.







